Auf Deutsch - Awkward Situations - Dummy

Ganz offen?

Man hört ja viel Gutes von der Darmspülung. Was ist wirklich dran am Trend zum Loslassen. Ein Selbstversuch. Für Dummy Ausgabe 32: Scheiße.

Ich habe es hinter mir, ich habe meine Beichte abgelegt – zumindest körperlich. Habe mich dort geöffent, wo die Sünden hocken.Ich habe meine erste Darmspülung hinter mir, oder, wie wir Fachleute sagen: die “Colon-Hydro-Therapie”. Ich fühle mich tatsächlich leichter, oder zumindest innendrin etwas loser.

Wie eine Menge Prominente, die sie mir nicht nennen konnte, war ich bei Laura Adele Sauer, eines der gefragtesten Heilpraktikerinnen Berlins. Die sehr erfahrene und professionelle Frau Sauer – mit schönen warmen Händen – bietet schon seit 15 Jahren eine Reihe von Therapien in ihrer noblen Praxis im Berliner Westend an.

Manche davon haben haarsträubende Namen: “Dunkelfeld-Vitalblutanalyse,” “Vitamin-C-Hochdosis-Therapie,” “Basenfasten nach Sabine Wacker”. Die Riesennachfrage aber besteht nach der Darmspülung. Die ist der Hammer, das hat sich herumgesprochen.

Ich muss gestehen, ich wäre nicht von allein darauf gekommen. Ich sehe nämlich keinen besonderen Reiz darin, eine Dreiviertelstunde auf einer Liege zu verbringen, während eine Frau – wie charmant sie auch sein mag – eine durchsichtiges Röhr in meinem Hintern steckt. Aber was tut man nicht alles für ein Heft zum Thema Scheiße.

Also arbeite ich mich erst einmal in das Thema ein. “Bei der Reinigung ruht der Patient bequem in Rückenlage auf einer Liege, nachdem ihm ein ca. fingerdickes Röhrchen in den After eingeführt wurde,” lese ich in einem Artikel von einem gewissen Dr. Peter Battré aus Salzburg. “Über dieses wird einerseits Wasser zugeführt, andererseits das Wasser mit Darminhalt über einen Schlauch direkt abgeleitet. Ein Sichtstück ermöglicht dem Behandler, das entleerte Material zu betrachten und zu beurteilen.”

Ich habe viele gute Sachen über die Darmspülung gehört: Die Haut wird klarer, man hat mehr Energie und Konzentrationsfähigkeit, es hilft beim abnehmen, das Immunsystem wird gefördert. “70 Prozent des Immunsystems befinden sich im Darm”, sagt Frau Sauer.

Ich verstehe zwar nicht, wie man das Immunsystem so genau quantifizieren kann, aber ich glaube ihr. Frau Sauer sieht sehr gesund aus und fast schon unheimlich jung. Klar, nichts ist wissenschaftlich erwiesen, aber es macht soviel Sinn. Ja, es klingt einfach herrlich belebend: Der Darm wird durchgespült, die Scheiße, die jahrelang in Dir hängen blieb, kommt endlich raus. Für mich als Engländer bedeutet das die ultimative Befreiung von den ganzen Fish und Chips, die ich vor Jahren in meiner schlechten Jugend in England gegessen habe.

Frau Sauer sieht, dass ich etwas nervös bin, und wir reden darüber, was jetzt gleich passieren wird. Sie freut sich, dass ich in England aufgewachsen bin, denn: “Princess Di hat sich oft reinigen lassen,” erzählt sie mir. “Sie war ja sehr gesundheitsbewusst. Außerdem ist man in England viel offener gegenüber alternativer Medizin.” Ich fange an, mich zu entspannen. Es ist wirklich sehr wohltuend, ungehemmt mit einem Profi über anale Erlebnisse zu reden. So plaudern wir noch ein bisschen über Urlaubsverstopfung.

Sie zeigt mir auch Graphiken. Der Dickdarm geht darauf über vier Ecken – vom Enddarm am Anus biegt er scharf rechts ab, dann links nach oben fast bis zum Brustkorb, biegt dann wieder links ab und geht quer durch den Leib und dann wieder nach unten bis zum Blindarm, wo der Dünndarm anfängt. Da es heute meine erste Behandlung sein wird, werden wir nicht sehr weit kommen können. Vielleicht um die erste Ecke.

Es gibt auch Graphiken, die kranke, unsaubere Gedärme zeigen. Sie sind alle krumm, oben zu dick oder unten zu dünn. Oder umgekehrt. Frau Sauer guckt mich an, als hätte sie einen bösen Verdacht.

Dann geht es los. Wir gehen hinüber in das schmale, weiße, sehr saubere Behandlungszimmer. Aus einer kleinen Anlage im Regal ertönen leise esoterische Klänge. Das Fenster ist offen, draußen sieht man Tannenbäume. “Wir haben hier im Behandlungszimmer auch ein WC”, sagt Frau Sauer, während ich einen kleinen Becher mit “Bitterstoffen” trinke, die ein bisschen nach Korn schmecken.

“Zuerst entleeren Sie bitte nochmal Ihre Blase,” sagt Frau Sauer.

“Mein Darm auch?” frag ich. Ich will bloß nichts Falsches machen.

“Ich nehme an, Sie waren heute Vormittag schon mal.”

“Doch, ja.”

“Dann nur Pippi.” Sie lacht.

“Okay.”

“Dann machen Sie sich bitte unten frei, und legen sie sich auf die Liege.”

Ich gehorche. Ich lege mich auf die sanitäre Handtücher, eins deckt meinen Unterleib ab, während Frau Sauer schon mal viel Gleitgel auf das Spekulum streicht. “So, jetzt bitte auf die Seite legen. Da es das erste Mal ist, wird es vielleicht nicht so einfach. Aber keine Angst. Ich bin auch schon fast drin.”

Es tut nicht weh, obwohl mir das Röhrchen schon etwas größer als fingerdick vorkommt. “Wie tief ist es drin?” frag ich. Ich muß es genau wissen. “So ein Stück?” ich mach meine Finger etwa fünf Zentimeter ausseinander.

“Schon eher so ein Stück.” Vielleicht acht Zentimeter. Aha. Das reicht auch, schätz ich mal.

Ich bin nun an die “Colon San Plus Maschine” angeschlossen – ein Spezialgerät importiert aus den USA und mehrere Tausend Euro wert. Es ist an der Wand montiert, gespickt mit Knöpfen und Druckmesser, und würde gut in ein U-Boot passen. Frau Sauer setzt sich dazu und steuert. Eine Hand bleibt natürlich immer fest am Spekulum. Bloß nicht loslassen, denk ich.

Eine der Besonderheiten der “Colon San Plus” ist die schmale, beleuchtete Galerie, das “Sichtstück,” wo man zugucken kann, wie die Scheiße vorbeifließt. Man schaut quasi aus dem U-Boot raus in die true See. “Es ist wichtig, dass man das sehen kann,” sagt Frau Sauer. Und ich hatte mir vorgestellt, dass mein Darminhalt irgendwie in ein Labor fließt und dort von jemandem analysiert wird. Oder zumindest, dass mir jemand sagt, was ich gestern gegessen habe. Doch das passiert nur einmal, als rötliche Teilchen in der Galerie erscheinen. “Karotten?” vermutet Frau Sauer. “Ich glaube nicht,” sag ich. Wir einigen uns auf Tomatenhaut.

In den nächsten 45 Minuten habe ich das konstante Gefühl, dass ich kacken muss. Ich kann auch, soviel ich will, aber gleichzeitig kann ich auch nicht. Das fingerdicke Röhrchen hat meine Muskeln ausgeklinkt. Ich kann mich eigentlich nur entspannen und warten. “Manche Leute checken dabei ihre Emails im Smartphone,” sagt Frau Sauer.

Aber sie findet das nicht gut. Ich fänd es vor allem ziemlich unhöflich. Frau Sauer drückt einen Knopf. Zuerst kommt das warme Wasser. “Sagen Sie Bescheid, wenn es unangenehm wird.” Das ist schwierig, da es nie wirklich angenehm ist. Ich sag irgendwann “jetzt.” Frau Sauer massiert sanft meinen Bauch mit Öl und lässt dann das  Wasser ab. Es kommt erstmal nichts besonderes heraus. “Tja, das ist halt das erste Mal,” erklärt Frau Sauer.

Um alles in Gang zu bringen, macht Frau Sauer das Wasser abwechselnd warm und kalt. Nach ungefähr einer halben Stunde wird das Wasser gelb und dann braun – dann fließen kleinere Krümel vorbei. Ein paar Blasen auch. Die Stückchen fließen in einer auffällig ruhigen, regelmäßigen Geschwindigkeit, wie Metallenten in einer Schießbude.

Nach einer Weile will es Frau Sauer dann doch wissen. “Jetzt versuchen Sie mal, bis zum Äußeren auszuhalten.” Sie meint, soviel Wasser wie möglich reinzulassen. “Es ist ein bisschen wie beim Joggen,” erklärt sie. “Je mehr man aushält, desto mehr kann man beim nächsten Mal.”

Zum Schluss kommt der schwierigste Moment: der Übergang von der Colon San Plus zum WC. Der gute alte WC ist zum Greifen nahe, aber wie komme ich da bloß hin?

Es muss auf jeden Fall schnell gehen. Frau Sauer gibt mir zwei große Taschentücher in die Hand zur Vorbereitung. “Jetzt haben sie sich ganz lange entspannt,” sagt Frau Sauer, “Nun, wenn ich das rausziehe, müssen Sie bitte ganz schnell Ihren After schließen.

Ich bin dann auch sofort weg.” Für einen Moment ist es besonders schwierig, die Würde zu behalten, obwohl sich Frau Sauer nichts anmerken lässt. Und es ist wirklich sehr gut, dass das WC im gleichen Zimmer ist.

Ich schaffe es schließlich aufs Klo, aber ich kacke gar nicht. Ich pinkle aus meinem Darm. Ein tolles Gefühl. Als Patriot aber will ich mir gar nicht vorstellen, wie Princess Di das gemacht hat.