VICE hat mich einer Gehirnwäsche unterzogen, damit ich mich zwei Sekten gleichzeitig anschließe. Sie sagten, wenn ich ihnen diesen kleinen Gefallen täte, würde ich bis an mein Lebensende auf jeder VICE-Party vierzig himmlische Jungfrauen bekommen. Ich will das Himmelreich, und ich will ungehemmte geile Frauen, und ich will sie jetzt sofort. Ich habe den Vertrag also freudig mit meinem eigenen Blut unterzeichnet.
Read it in VICE
Ich rief bei Scientology in Berlin an, wo mir eine schwebend-freundliche Frauenstimme sagte, ich solle am nächsten Vormittag um zehn Uhr vorbeikommen. „Ich freue mich wirklich sehr darauf, Sie zu treffen“, sagte sie. Ich glaube, sie mochte mich wirklich. Aber vorher musste ich meine Hausaufgaben machen.
Man merkt es ihnen nicht an, wenn man sie trifft, aber die Scientologen haben es zur Zeit nicht leicht in Deutschland. Nicht nur, dass ihre Freunde nicht mehr mit ihnen reden und jeder sie für bemitleidenswerte Amerika-freunde hält, nein, es ist ihnen nicht einmal erlaubt, sich selbst als Religion zu bezeichnen—und sie erhalten auch nicht die Steuervorteile, die Religionen oder wohl-tätige Organisationen bekommen. Außerdem hat die Regierung das Recht, sie als demo-kratiefeindliche Organisation zu überwachen. Ihre Telefongespräche dürfen mitgehört und vom Geheimdienst ausgewertet werden. Offensichtlich sind sie eine finstere Organisation, die Einfältige um deren Geld betrügt—aber wer versucht das nicht? Und überhaupt, das ist es doch gerade, was sie so sympathisch macht. Sie können keine terroristische Organisation sein, denn schließlich verarschen sie ja nur ihre eigenen Mitglieder. Was man auch gegen Al-Quaida sagen kann, bei denen ist der Beitritt immerhin gebührenfrei.
Scientologen sehen oft mausgrau und bedeutungslos aus, aber sie gehen mit flotten, leisen Schritten, wie die Frau in Tiger and Dragon. Ich habe mir die Bücher im Buchladen angesehen (diese Bücher sehen alle aus wie Selbsthilfe-Bestseller—mit explodierenden Bergen, aus denen der Name L. Ron Hubbard in glänzenden silbernen Buchstaben hervortritt), als mir eine kleine Dame mit einem großen Kinn auf die Schulter tippte und mich nach hinten führte, zur Kirche. Sie schien ganz nett zu sein, also bin ich mitgegangen. Die Kirche ist einfach ein großes, normales Büro, in dem Leute durch alle Türen rein und raus gehen und beschäftigt aussehen, außer dass, anders als in einem normalen Büro, es allen scheinbar sehr gut geht. Die mausgraue Frau mit dem großen Kinn führte mich zum Empfang, wo mir eine vogelartige Empfangsdame mit glattem Haar Sören vorstellte, der mich den Gang hinunterführte. Sören war ein junger, schlagfertiger Scientologe, und obwohl er wirklich beschäftigt wirkte, freute er sich sehr, dass ich da war. Er stellte mir Judith vor, die klein und rund war, und die, obwohl sie an einem Tisch voller Papiere und Bilder von explodierenden Bergen saß, sich die Zeit nahm, mir Ralf, Carsten und Henriette vorzustellen. Henriette war die netteste Frau dort, und sie führte mich in ein ruhiges Büro, wo ich die kostenlose Oxford-Persönlichkeitsanalyse machen konnte. „Jeder macht die“, sagte sie. Ich musste 200 Fragen mit „ja“, „nein“ oder „weiß nicht“ beantworten. Ich wurde Dinge gefragt wie: „Lächeln Sie viel?“, „Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie zuviel reden?“ Meine Antworten wurden in einen Computer eingegeben.
Henriette kam aus dem Büro zurück und sah ernst aus. Ich war extrem labil und zerstreut, latent depressiv, nervös (aber nur in normaler Ausprägung), äußerst kritisch (meine Punkte bei Urteilsfähigkeit waren extrem schlecht), ein wenig verantwortungslos und mittelmäßig geringschätzig. Außerdem bin ich ein wenig in mich gekehrt. Wie auch immer, ich bin unter dem Durchschnitt und auf dem besten Weg zum Selbstmord, in nahezu jeder Eigenschaft. Aber es ist OK, sagte Henriette, denn: „Wir können helfen.“
Sie sagte, ich solle den Kurs „Planziele und Ziele“ besuchen. Sie hatte ihn auch mitgemacht, und er hatte ihr wirklich geholfen, ihren Traum zu verwirklichen, eine Scientologin zu werden, die anderen Leuten dabei hilft, ihre Träume zu verwirklichen. Und er dauert nur fünf Stunden. Ich sagte OK. Sie sagte, das mache 26,50 Euro. Ich sagte OK. Plus 4,50 für das Handbuch. Ich sagte OK. Also trug sie mich in den Kurs ein. Dann sagte sie, um den Kurs zu machen, müsse ich mich als Mitglied der Kirche registrieren lassen. Es sei die am schnellsten wachsende Kirche des Landes, sagte sie. Ich solle mich anschließen. Das mache 62 Euro im Jahr. „OK,“ sagte ich.
Henriette stellte mir Wolf vor, der mir Sonja und Judith (nochmals) vorstellte, die dafür verantwortlich waren, neue Pre-Clears auf-zunehmen. (Ein Pre-Clear ist jemand, der noch nicht den Status eines Clear erreicht hat, was wiederum bedeutet, dass deine Seele—oder Thetan—von dem Müll befreit ist, den die ganze Galaxie in den letzten Trillionen von Jahren auf ihr abgeladen hat. Ihr, Vice-Leser, seid alle Pre-Clears, und eure Thetanen sehen aus, als ob ein Schwein drauf geschissen hat. Im Weltall. Aber keine Sorge, mein Thetan ist nicht viel besser. Aber bald.) Wolf, Sonja und Judith haben sich alle wirklich gefreut, mich kennenzulernen, und sie sagten, wenn ich irgendwelche Fragen hätte, solle ich sie ihnen ganz einfach stellen. Judith nahm mein Geld und lächelte mich an. Sie zwinkerte hinter ihrer Brille und sagte: „Hier entlang.“
Judith führte mich in einen anderen Raum und setzte mich auf ein großes Ledersofa hinter einem Schreibtisch. Sie sagte, wir müssen nur diesen Test machen. „Weißt du, was das ist?“, fragte sie und zeigte auf eine Plastikschachtel, auf der eine Skala gedruckt war. Ich sagte, ich wisse es nicht. „Halt die fest“, sagte sie und drückte mir zwei Metalldosen in die Hand. Sie lächelte mich an. „Dieses Gerät misst elektrische Impulse in deinem Körper. Wenn du bestimmte Gedanken hast, wird es sie messen. Denk mal an was Bestimmtes.“ Ich dachte an VICE-Models in Dirndln. Die Nadel bewegte sich ein wenig. Dann musste ich weitere Fragen beantworten. „Bist du hier von jemand anderem hergeschickt worden?“—„Nein.“—„Beabsichtigst du, über deine Erfahrungen hier öffentlich zu berichten?“—„Nein.“—„Bist du mit irgendjemandem vertraut, der unserer Organisation kritisch gegenübersteht?“—„Nein.“—„Hast du in diesem Test gelogen?“—„Nein.“ Die Nadel blieb regungslos wie ein Fels. Totaler Scheiß. Judith entschuldigte sich: „Nimm diesen Test nicht persönlich. Hast du über uns im Internet gelesen?“—„Nein.“—„Wir kommen nicht seht gut in der Presse weg.“—„Oh.“
Es war nun an der Zeit, dass meine Reise über die „Brücke zu Völliger Freiheit“ beginnen konnte. Viele Dinge bei Scientology beginnen mit Großbuchstaben. Zuerst musste ich mir allerdings den Propagandafilm „Orientation“ anschauen. Er war großartig. Er sagte mir, dass die Wissenschaft die Evolution nicht bewiesen hat, und er zeigte mir ein Bild von einem Mann, der sich als Gott verkleidet hatte und einen Affen streichelte. Gott hat die Evolution schon vorher ausgearbeitet, sagte mir dieses Bild. Am Schluss des Films verkündete der gut frisierte Erzähler: „Es ist unsere Mission, dich zu befreien. Du bist an der Schwelle zu deinen nächsten Trillionen Jahren. Du könntest aus diesem Raum gehen und Scientology in deinem Leben nie wieder erwähnen. Das wäre sehr dumm, aber du könntest es tun. Du könntest dir auch das Gehirn wegblasen oder von einer Brücke springen. Es wäre das Gleiche. Du hast die Wahl.“
Das ließ mich kurz erschaudern, vor allem weil mir auffiel, dass ich seit einiger Zeit in einem dunklen Raum in einer Scientology-Kirche war. Irgendwer holte mich ab und brachte mich in den Unterrichtsraum. Meine Ausbilderin hieß Ursula, und außer ihr und mir war niemand im Raum. Sie blickte mich an. Sie sagte mir, wie wichtig es sei, nicht zu spät zu kommen. Sie sagte mir, ich solle nach der Checkliste vorgehen. Ich fing an, in meinem Handbuch zu lesen. Ursula blickte mich noch immer an. Als ich am Ende der ersten Seite war, stand sie plötzlich hinter mir. „Was liest du?“, fragte sie. „Die erste Seite.“—„Weißt du, was Religion ist?“ Ich dachte mir etwas aus, das sie meiner Vermutung nach hören wollte. „Und weißt du, was Philosophie ist?“ Meine Definition war nicht gut genug und sie brachte mir ein Wörterbuch. „Warum schlägst du die Definition nicht noch einmal nach?“ Ich las nach. „Verstehst du?“—„Ja“, sagte ich. „Gut.“ Sie ging für eine Weile nach draußen. Mit einem leeren Gesichtsausdruck.
Ich verbrachte die nächsten fünf Stunden in einem Raum voll mit Plastikstühlen und Auslegekästen voller Bausteine zum Erbauen einer neuen Psyche und lernte eine Tabelle, in der sehr viele Worte, die ich schon kannte, definiert wurden. Um seine Lebensträume zu verwirklichen, muss man durch eine Reihe von Zielen, Vorsätzen, Programmen, Plänen und nützlichen Endprodukten hindurch. Ich las weiter in dem Buch und schrieb weiter auf, was auch immer mir an schafswollförmigen Gedanken in den Kopf kamen. Ich bemerkte, dass ich umso mehr Anerkennung von Ursula bekam, je häufiger ich die Worte „pragmatisch“, „konkret“ und „physisch“ gebrauchte. Ihr gefiel es, wenn ich Diagramme mit Kernpunkten zeichnete. Ich musste sogar ein paar Cartoons zeichnen, in denen ich Scientologen, die nicht lesen können, erklärte, wie mehr Struktur in mein Leben zu bekommen wäre.
Zwischendurch entschuldigte ich mich einmal und holte mir auf dem Klo einen runter. Das schien der einzig mögliche Weg zu sein, meine Spannung abzubauen. Es war Teil meiner eigenen „Brücke zu Völliger Freiheit“.
Ich schaffte den Kurs und wurde anschließend Gottfried, Winnipeg und Mabuse vorgestellt. (Ich setze das jetzt meinen Pseudonymen ein wenig fort.) Sie alle gratulierten mir und schüttelten meine Hand mit entzücktem Lächeln im Gesicht. Ich ging zurück in den sauerstoffarmen Raum und mir wurde in Gegenwart einiger anderer Schüler gratuliert. Da waren nun ein paar Männer mit wuchernden Pferdeschwänzen und weißen T-Shirts. Leute mit schlechten Frisuren haben oft verlorene Seelen, dachte ich. Ein paar Frauen im mittleren Alter sahen mich durch ihre Lesebrillen an. Ursula lächelte und fragte mich, ob ich eine Rede halten wolle. „Ich habe den Kurs ‚Planziele und Ziele‘ abgeschlossen, und ich wollte nur sagen, dass mir das wirklich geholfen hat, Struktur in mein Leben zu bekommen, obwohl der Kurs nur fünf Stunden gedauert hat. Mir half besonders, dass ich einige echte, konkrete, physische Pläne machen konnte, mit denen ich hoffentlich gut weiterarbeiten kann, und ich werde diese Woche damit beginnen.“ Die Leute im Raum lächelten. Sie applaudierten ein wenig.
Als ich ging, hörte ich in einem anderen Raum ein paar Leute in vereinter Harmonie singen. Ich fragte jemanden, was sie da taten, und man sagte mir, sie lernten die Tabellen. Warum müssen sie dazu gemeinsam singen? Weil es ihnen beim Lernen hilft.
Draußen kam Henriette auf mich zu. Sie wollte ein wenig plaudern. Sie hatte bemerkt, dass ich Engländer bin und wollte mir sagen, dass sie großer Fan von Blur war. „Cool“, sagte ich, „ich mag Blur auch.“ —„Gehen wir noch was trinken?“—„Nein“, sagte sie. —„Du hast eine hübsche Bluse an, Henriette.“ Sie sah mich seltsam an und fragte, ob ich noch ein Video sehen wollte. Ich sagte OK, und sie zeigte mir eine Rede von L. Ron Hubbard, in der er erklärte, wie schädlich Psychologie ist. Danach fragte sie mich, ob ich mich für den Dianetik-Kurs anmelden wolle. Ich sagte nein und fand irgendwelche Ausreden. Scientologen sind langweilig, dachte ich. Ich muss eine Sekte mit mehr Sexappeal finden.
Ich bin in zwei Sekten gleichzeitig eingetreten – #1: Scientology
VICE hat mich einer Gehirnwäsche unterzogen, damit ich mich zwei Sekten gleichzeitig anschließe. Sie sagten, wenn ich ihnen diesen kleinen Gefallen täte, würde ich bis an mein Lebensende auf jeder VICE-Party vierzig himmlische Jungfrauen bekommen. Ich will das Himmelreich, und ich will ungehemmte geile Frauen, und ich will sie jetzt sofort. Ich habe den Vertrag also freudig mit meinem eigenen Blut unterzeichnet.
Read it in VICE
Ich rief bei Scientology in Berlin an, wo mir eine schwebend-freundliche Frauenstimme sagte, ich solle am nächsten Vormittag um zehn Uhr vorbeikommen. „Ich freue mich wirklich sehr darauf, Sie zu treffen“, sagte sie. Ich glaube, sie mochte mich wirklich. Aber vorher musste ich meine Hausaufgaben machen.
Man merkt es ihnen nicht an, wenn man sie trifft, aber die Scientologen haben es zur Zeit nicht leicht in Deutschland. Nicht nur, dass ihre Freunde nicht mehr mit ihnen reden und jeder sie für bemitleidenswerte Amerika-freunde hält, nein, es ist ihnen nicht einmal erlaubt, sich selbst als Religion zu bezeichnen—und sie erhalten auch nicht die Steuervorteile, die Religionen oder wohl-tätige Organisationen bekommen. Außerdem hat die Regierung das Recht, sie als demo-kratiefeindliche Organisation zu überwachen. Ihre Telefongespräche dürfen mitgehört und vom Geheimdienst ausgewertet werden. Offensichtlich sind sie eine finstere Organisation, die Einfältige um deren Geld betrügt—aber wer versucht das nicht? Und überhaupt, das ist es doch gerade, was sie so sympathisch macht. Sie können keine terroristische Organisation sein, denn schließlich verarschen sie ja nur ihre eigenen Mitglieder. Was man auch gegen Al-Quaida sagen kann, bei denen ist der Beitritt immerhin gebührenfrei.
Scientologen sehen oft mausgrau und bedeutungslos aus, aber sie gehen mit flotten, leisen Schritten, wie die Frau in Tiger and Dragon. Ich habe mir die Bücher im Buchladen angesehen (diese Bücher sehen alle aus wie Selbsthilfe-Bestseller—mit explodierenden Bergen, aus denen der Name L. Ron Hubbard in glänzenden silbernen Buchstaben hervortritt), als mir eine kleine Dame mit einem großen Kinn auf die Schulter tippte und mich nach hinten führte, zur Kirche. Sie schien ganz nett zu sein, also bin ich mitgegangen. Die Kirche ist einfach ein großes, normales Büro, in dem Leute durch alle Türen rein und raus gehen und beschäftigt aussehen, außer dass, anders als in einem normalen Büro, es allen scheinbar sehr gut geht. Die mausgraue Frau mit dem großen Kinn führte mich zum Empfang, wo mir eine vogelartige Empfangsdame mit glattem Haar Sören vorstellte, der mich den Gang hinunterführte. Sören war ein junger, schlagfertiger Scientologe, und obwohl er wirklich beschäftigt wirkte, freute er sich sehr, dass ich da war. Er stellte mir Judith vor, die klein und rund war, und die, obwohl sie an einem Tisch voller Papiere und Bilder von explodierenden Bergen saß, sich die Zeit nahm, mir Ralf, Carsten und Henriette vorzustellen. Henriette war die netteste Frau dort, und sie führte mich in ein ruhiges Büro, wo ich die kostenlose Oxford-Persönlichkeitsanalyse machen konnte. „Jeder macht die“, sagte sie. Ich musste 200 Fragen mit „ja“, „nein“ oder „weiß nicht“ beantworten. Ich wurde Dinge gefragt wie: „Lächeln Sie viel?“, „Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie zuviel reden?“ Meine Antworten wurden in einen Computer eingegeben.
Henriette kam aus dem Büro zurück und sah ernst aus. Ich war extrem labil und zerstreut, latent depressiv, nervös (aber nur in normaler Ausprägung), äußerst kritisch (meine Punkte bei Urteilsfähigkeit waren extrem schlecht), ein wenig verantwortungslos und mittelmäßig geringschätzig. Außerdem bin ich ein wenig in mich gekehrt. Wie auch immer, ich bin unter dem Durchschnitt und auf dem besten Weg zum Selbstmord, in nahezu jeder Eigenschaft. Aber es ist OK, sagte Henriette, denn: „Wir können helfen.“
Sie sagte, ich solle den Kurs „Planziele und Ziele“ besuchen. Sie hatte ihn auch mitgemacht, und er hatte ihr wirklich geholfen, ihren Traum zu verwirklichen, eine Scientologin zu werden, die anderen Leuten dabei hilft, ihre Träume zu verwirklichen. Und er dauert nur fünf Stunden. Ich sagte OK. Sie sagte, das mache 26,50 Euro. Ich sagte OK. Plus 4,50 für das Handbuch. Ich sagte OK. Also trug sie mich in den Kurs ein. Dann sagte sie, um den Kurs zu machen, müsse ich mich als Mitglied der Kirche registrieren lassen. Es sei die am schnellsten wachsende Kirche des Landes, sagte sie. Ich solle mich anschließen. Das mache 62 Euro im Jahr. „OK,“ sagte ich.
Henriette stellte mir Wolf vor, der mir Sonja und Judith (nochmals) vorstellte, die dafür verantwortlich waren, neue Pre-Clears auf-zunehmen. (Ein Pre-Clear ist jemand, der noch nicht den Status eines Clear erreicht hat, was wiederum bedeutet, dass deine Seele—oder Thetan—von dem Müll befreit ist, den die ganze Galaxie in den letzten Trillionen von Jahren auf ihr abgeladen hat. Ihr, Vice-Leser, seid alle Pre-Clears, und eure Thetanen sehen aus, als ob ein Schwein drauf geschissen hat. Im Weltall. Aber keine Sorge, mein Thetan ist nicht viel besser. Aber bald.) Wolf, Sonja und Judith haben sich alle wirklich gefreut, mich kennenzulernen, und sie sagten, wenn ich irgendwelche Fragen hätte, solle ich sie ihnen ganz einfach stellen. Judith nahm mein Geld und lächelte mich an. Sie zwinkerte hinter ihrer Brille und sagte: „Hier entlang.“
Judith führte mich in einen anderen Raum und setzte mich auf ein großes Ledersofa hinter einem Schreibtisch. Sie sagte, wir müssen nur diesen Test machen. „Weißt du, was das ist?“, fragte sie und zeigte auf eine Plastikschachtel, auf der eine Skala gedruckt war. Ich sagte, ich wisse es nicht. „Halt die fest“, sagte sie und drückte mir zwei Metalldosen in die Hand. Sie lächelte mich an. „Dieses Gerät misst elektrische Impulse in deinem Körper. Wenn du bestimmte Gedanken hast, wird es sie messen. Denk mal an was Bestimmtes.“ Ich dachte an VICE-Models in Dirndln. Die Nadel bewegte sich ein wenig. Dann musste ich weitere Fragen beantworten. „Bist du hier von jemand anderem hergeschickt worden?“—„Nein.“—„Beabsichtigst du, über deine Erfahrungen hier öffentlich zu berichten?“—„Nein.“—„Bist du mit irgendjemandem vertraut, der unserer Organisation kritisch gegenübersteht?“—„Nein.“—„Hast du in diesem Test gelogen?“—„Nein.“ Die Nadel blieb regungslos wie ein Fels. Totaler Scheiß. Judith entschuldigte sich: „Nimm diesen Test nicht persönlich. Hast du über uns im Internet gelesen?“—„Nein.“—„Wir kommen nicht seht gut in der Presse weg.“—„Oh.“
Es war nun an der Zeit, dass meine Reise über die „Brücke zu Völliger Freiheit“ beginnen konnte. Viele Dinge bei Scientology beginnen mit Großbuchstaben. Zuerst musste ich mir allerdings den Propagandafilm „Orientation“ anschauen. Er war großartig. Er sagte mir, dass die Wissenschaft die Evolution nicht bewiesen hat, und er zeigte mir ein Bild von einem Mann, der sich als Gott verkleidet hatte und einen Affen streichelte. Gott hat die Evolution schon vorher ausgearbeitet, sagte mir dieses Bild. Am Schluss des Films verkündete der gut frisierte Erzähler: „Es ist unsere Mission, dich zu befreien. Du bist an der Schwelle zu deinen nächsten Trillionen Jahren. Du könntest aus diesem Raum gehen und Scientology in deinem Leben nie wieder erwähnen. Das wäre sehr dumm, aber du könntest es tun. Du könntest dir auch das Gehirn wegblasen oder von einer Brücke springen. Es wäre das Gleiche. Du hast die Wahl.“
Das ließ mich kurz erschaudern, vor allem weil mir auffiel, dass ich seit einiger Zeit in einem dunklen Raum in einer Scientology-Kirche war. Irgendwer holte mich ab und brachte mich in den Unterrichtsraum. Meine Ausbilderin hieß Ursula, und außer ihr und mir war niemand im Raum. Sie blickte mich an. Sie sagte mir, wie wichtig es sei, nicht zu spät zu kommen. Sie sagte mir, ich solle nach der Checkliste vorgehen. Ich fing an, in meinem Handbuch zu lesen. Ursula blickte mich noch immer an. Als ich am Ende der ersten Seite war, stand sie plötzlich hinter mir. „Was liest du?“, fragte sie. „Die erste Seite.“—„Weißt du, was Religion ist?“ Ich dachte mir etwas aus, das sie meiner Vermutung nach hören wollte. „Und weißt du, was Philosophie ist?“ Meine Definition war nicht gut genug und sie brachte mir ein Wörterbuch. „Warum schlägst du die Definition nicht noch einmal nach?“ Ich las nach. „Verstehst du?“—„Ja“, sagte ich. „Gut.“ Sie ging für eine Weile nach draußen. Mit einem leeren Gesichtsausdruck.
Ich verbrachte die nächsten fünf Stunden in einem Raum voll mit Plastikstühlen und Auslegekästen voller Bausteine zum Erbauen einer neuen Psyche und lernte eine Tabelle, in der sehr viele Worte, die ich schon kannte, definiert wurden. Um seine Lebensträume zu verwirklichen, muss man durch eine Reihe von Zielen, Vorsätzen, Programmen, Plänen und nützlichen Endprodukten hindurch. Ich las weiter in dem Buch und schrieb weiter auf, was auch immer mir an schafswollförmigen Gedanken in den Kopf kamen. Ich bemerkte, dass ich umso mehr Anerkennung von Ursula bekam, je häufiger ich die Worte „pragmatisch“, „konkret“ und „physisch“ gebrauchte. Ihr gefiel es, wenn ich Diagramme mit Kernpunkten zeichnete. Ich musste sogar ein paar Cartoons zeichnen, in denen ich Scientologen, die nicht lesen können, erklärte, wie mehr Struktur in mein Leben zu bekommen wäre.
Zwischendurch entschuldigte ich mich einmal und holte mir auf dem Klo einen runter. Das schien der einzig mögliche Weg zu sein, meine Spannung abzubauen. Es war Teil meiner eigenen „Brücke zu Völliger Freiheit“.
Ich schaffte den Kurs und wurde anschließend Gottfried, Winnipeg und Mabuse vorgestellt. (Ich setze das jetzt meinen Pseudonymen ein wenig fort.) Sie alle gratulierten mir und schüttelten meine Hand mit entzücktem Lächeln im Gesicht. Ich ging zurück in den sauerstoffarmen Raum und mir wurde in Gegenwart einiger anderer Schüler gratuliert. Da waren nun ein paar Männer mit wuchernden Pferdeschwänzen und weißen T-Shirts. Leute mit schlechten Frisuren haben oft verlorene Seelen, dachte ich. Ein paar Frauen im mittleren Alter sahen mich durch ihre Lesebrillen an. Ursula lächelte und fragte mich, ob ich eine Rede halten wolle. „Ich habe den Kurs ‚Planziele und Ziele‘ abgeschlossen, und ich wollte nur sagen, dass mir das wirklich geholfen hat, Struktur in mein Leben zu bekommen, obwohl der Kurs nur fünf Stunden gedauert hat. Mir half besonders, dass ich einige echte, konkrete, physische Pläne machen konnte, mit denen ich hoffentlich gut weiterarbeiten kann, und ich werde diese Woche damit beginnen.“ Die Leute im Raum lächelten. Sie applaudierten ein wenig.
Als ich ging, hörte ich in einem anderen Raum ein paar Leute in vereinter Harmonie singen. Ich fragte jemanden, was sie da taten, und man sagte mir, sie lernten die Tabellen. Warum müssen sie dazu gemeinsam singen? Weil es ihnen beim Lernen hilft.
Draußen kam Henriette auf mich zu. Sie wollte ein wenig plaudern. Sie hatte bemerkt, dass ich Engländer bin und wollte mir sagen, dass sie großer Fan von Blur war. „Cool“, sagte ich, „ich mag Blur auch.“ —„Gehen wir noch was trinken?“—„Nein“, sagte sie. —„Du hast eine hübsche Bluse an, Henriette.“ Sie sah mich seltsam an und fragte, ob ich noch ein Video sehen wollte. Ich sagte OK, und sie zeigte mir eine Rede von L. Ron Hubbard, in der er erklärte, wie schädlich Psychologie ist. Danach fragte sie mich, ob ich mich für den Dianetik-Kurs anmelden wolle. Ich sagte nein und fand irgendwelche Ausreden. Scientologen sind langweilig, dachte ich. Ich muss eine Sekte mit mehr Sexappeal finden.