Mein Land wurde nie richtig christianisiert. Wir sind einfach nicht mit ganzem Herzen dabei. Christ zu sein, das ist für uns eher so eine Art Tee-Zeremonie, oder für unsere Eltern eine hübsche Gelegenheit, Freunde zu finden. Ähnlich wie die Europäische Union: ein Haufen gut gemeinter, abstrakter Regeln, für die sich niemand so recht erwärmen will. Für einige liegt die geheime Passion des deutschen Volkes unter dem Harz und der Lüneburger Heide verborgen. Dort leben die alten Götter: starke braune Götter mit großen Körpern, die im Kreis herumsitzen, rauchen und sich prügeln. Da ist nichts Schwules dran. Wir geben es nur ungern zu, aber im Herzen sind wir tief heidnisch geprägt. Wir sind Atheisten und Hedonisten.
Read it in VICE
TAG 1, BELZIG
Mein erster Heide ist ein groß gewachsener Mann. Er trägt eine Brille und einen kurz geschorenen Bart. Während der 20-minütigen Fahrt in seinem Lastwagen erzählt mir Herr Camphausen, warum er sein Eigenheim verpfändet hat und aufs Land gezogen ist. „Dieser Staat geht vor die Hunde. 15 Jahre gebe ich ihm noch, wenn’s hoch kommt!“. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit der Vermietung seines Kleinlasters, auf dem ein kleiner Kran montiert ist. Das gibt ihm einen gewissen Wettbewerbsvorsprung. Die Demokratie, so werden Heiden nicht müde zu betonen, sei eine heidnische Erfindung. Das Heidentum ist bei den deutschen Linken gerade groß im Kommen. Seit dem Ende der sechziger Jahre sind wir auf einem Ökotrip. Nun aber, da uns langsam dämmert, wie gründlich am Arsch unsere Umwelt wirklich ist, hat sich das Gefühl eingeschlichen, dass sowieso alles vergeblich sein könnte. Da bieten die alten germanischen Gottheiten eine gewisse Geborgenheit. Bete nur genug, verlier dich darin, dann wird alles gut.
TAG 2, HOHER FLÄMING
Solche hoffnungslosen Hippies sind allerdings nichts als Tagesausflügler, Amateure, Ausgestoßene ihrer Generation. Echte Heiden lassen sich von der realen Welt nicht weiter beeindrucken. Ich befinde mich in einem Dorf, dass von keinem ÖPNV-Netzwerk erschlossen ist und unterhalte mich seit drei Stunden mit Lagkona (Oberhexe) Catrin Wildgrube und Allsherjargode (oberster Priester) Géza von Neményi von der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft.
Ihre Brötchen verdient Catrin als Tarotkarten-Leserin und Astrologin, nicht als Hexe. „Eine Hexe zu sein, das ist eine Lebensauffassung, kein Job“, sagt sie. Sie betreibt auch ein Internet-Forum, in dem sie auf die Ängste junger Mädchen im Umgang mit Zaubertränken eingeht („Trinke Wein aus seinem Schuh, und ihr werdet lernen, einander zu lieben.“ Kein Scheiß!) Géza hat sein Leben dem Studium alter germanischer Kulturen und der Sorge um seine kleine Gemeinde gewidmet. Géza und Catrin leben in einem kleinen Häuschen mit Außentoilette in einem Dorf, das inmitten nebelumwaberter Felder liegt.
Fast als Warnung wurde mir gesagt, dies seien Hardcore-Heiden. Was eigentlich nur heißt, dass sie die Sache ernst nehmen. Aber Géza war nett. Er gab mir Kuchen und Kräutertee (ohne Nebenwirkungen), und wir sprachen endlos über die Bräuche, die Geschichte und die politischen Implikationen seines Glaubens. Ich versuchte, unsere Unterhaltung in randseitigere Gebiete zu steuern: „Wie sieht es mit Drogen aus?“ „Nur um die Meditation zu unterstützen. Die meisten von uns rühren sie nicht an.“ „Was macht ihr mit Nazis, die mitmachen wollen?“ „Wir lassen sie nicht.“ „Macht es dich nicht wütend, dass sich das Christentum eurer Religion und eurer heiligen Orte bemächtigt hat und die Welt jetzt mit seinem totalitären Machtanspruch beherrscht?“ „Eigentlich nicht.“ An diesem Punkt war ich zu entmutigt, noch nach wilden Sexriten bei Sonnenwendfeiern zu fragen. Scheiß drauf. Gruppensex scheint auch nur eine weitere Erfindung der Hippies zu sein.
Der Aberglaube spielt bei ihnen eine wichtige Rolle. Keine andere Kirche würde es wagen, den Glauben ihrer Anhänger auf eine derart harte Probe zu stellen. Trotzdem sprechen sie gern davon, wie vernünftig sie doch seien. Von Jesus allerdings ist nicht überliefert, dass er behauptet hätte, im Wald würden uns Elfen nachstellen, oder dass „Hunde und Pferde Geister sehen, Katzen sie dagegen nur hören können“. Jesus hat auch nie von Zwergen gesprochen, oder von Kraftfeldern, halluzinogenen Kräutern, oder Donnergöttern, die durch Lautenklänge herbeizitiert werden können. Das liegt daran, dass Jesus im Grunde ein Totalitarist war. Man kann über ihn sagen, was man will, ein Hippie war er definitiv nicht.
TAG 3, BERGEN AN DER DUMME
Draußen ist es stockdunkel. Gerade bin ich angekommen, und augenblicklich stellt sich diese alte Kleinstadt-Angst ein. Ich fühle mich einsam. Im Scheinwerferlicht erkenne ich plötzlich einen Hasen, der an einen Pfosten am Straßenrand genagelt wurde. Nein, war nur ein Witz.
Was mache ich also hier? Ich habe beschlossen, eine Nacht auf dem Lande zu verbringen, getrieben von einem vagen Ziel, das ich mir gesetzt habe: Ich bin ausgezogen, um Visionäre und Propheten zu finden. Groteske, besessene Menschen, so was in der Art. Mich beschleicht langsam das Gefühl, in psychologischer Hinsicht nicht ausreichend vorbereitet zu sein. Was mache ich zum Beispiel, wenn es dazu kommt, dass ich im betrunkenen Zustand Zeuge einer Teufelsaustreibung werden sollte? Wahrscheinlich in der Ecke hocken bleiben und höflich lächelnd wegschauen.
Die Thelema Society wird von der Presse fortwährend verteufelt. Eine Google-Recherche fördert Artikel aus den letzten 20 Jahren zutage, in denen es fast ausschließlich um Missbrauch und Vergewaltigungen geht, und darum, dass Leute in den Meditations-Workshops Scheiße fressen mussten. Michael D. Eschner, der Gründer der Society, wurde 1992 wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt. Mir fehlt es fast völlig an Hintergrundinformationen. Bruchstückhaft weiß ich ein bisschen was über Nietzsche. Den hatte ich mir doch immer schon mal vornehmen wollen. Immer wieder sind TV-Kamerateams bei ihnen eingebrochen, nur um dann filmen zu können, wie man sie wieder rausschmeißt. Viele halten sie für Satanisten. Während ich auf der dunklen Straße warte, denke ich mir, dass, wer derart hysterisch von der breiten Öffentlichkeit niedergemacht wird, schon irgendetwas richtig machen muss.
Mein erster Gesprächspartner heißt Harald Schmidt, obwohl er überhaupt nicht so aussieht. Er hat krumme Zähne, einen federnden Haarschopf und einen schwankenden Gang. Er hat irgendwie etwas Rücksichtsloses an sich, offensichtlich misstraut er Leuten wie mir. Dennoch sprechen wir nach dreieinhalb Stunden immer noch miteinander. Er versucht, mir diese komplexe, vage, subjektiv wirkende Hierarchie zu erklären, die sie sich aufgebaut haben. „Jeder sucht sich seinen Status selbst aus, muss sich dann der gewählten Verantwortung aber würdig erweisen“, erzählt er. Ich darf kein Foto von ihm machen, aber er erzählt mir einiges über sich: Er ist verheiratet, lebt mit seiner Frau im Dorf und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Export indianischen Kunstgewerbes.
Die Thelemiten verorten sich irgendwo an der Schnittstelle von Religion, Philosophie und Kunst. Das Wort Thelema stammt aus der Bibel und bedeutet „Wille“. Jesus verwendete es im Sinne von „Gottes Wille“. Typisch Jesus mal wieder.
Ein paar Stunden später treffe ich endlich Escher selbst. Die heilige innere Sphäre, der Höhepunkt meiner Reise. Auch hier ist es wieder verboten zu fotografieren. Es wird keine Musik gespielt. So wie Catrin zuvor, wird auch er geschickt von hinten beleuchtet. Alles was ich sehen kann, ist gelbes Licht, das sich im weißen Haar verfängt, das halbmondförmig seinen Kopf umspielt. Das sieht irgendwie aus wie eine Sonnenfinsternis, oder wie ein verdammtes Rührei. Wir reden eine Weile über Philosophie. Ich versuche mein Bestes, auf Augenhöhe mit ihm zu bleiben. Ich will ihm nur einmal eine Aussage entlocken, die ihn verrückt erscheinen ließe, und seine Society wie eine Ansammlung von Irren. Ich scheitere kläglich. Alles, was er sagt, geht in die Richtung von „Wir sind einfach Menschen, die die analytische Herangehensweise an das Thema „Geist“ verbindet.“ Alle gefährlichen Aspekte der Vereinigung werden gründlich entschärft, bevor ich das Gespräch auf sie lenken kann: „Jedes Individuum hat die komplette Kontrolle über den eigenen Willen.“ Seine Ausführungen laufen immer wieder auf eines heraus: Alles, sei es die Unsterblichkeit, Telepathie, Zauberei, seien schlicht und einfach intensive Ausgestaltungen dessen, woran die Menschen sowieso glauben.
Er ist einer von ungefähr 16 Leuten allein in Deutschland, die von sich behaupten, die Reinkarnation von Crowley zu sein. Er träumt davon, sie allesamt mal zu einer Party einzuladen. Die deutsche Crowley-Party. Ich werde versuchen, für Vice eine Einladung zu sichern. Da soll dann Dance, Electro und Wave aufgelegt werden, dazu gibt es möglicherweise ein kaltes italienisches Buffet.
Also wie zur Hölle unterscheidet ihr euch nun eigentlich von anderen Sekten, ja, von ganz normalen Menschen? Seine ultimative Antwort auf diese Frage lautet: „Wir versuchen gar nicht, anders zu sein.“ Fuck. Alter, was ist eigentlich aus dem verdammten Blut, dem Sex und den Scheißefress-Ritualen geworden?
TAG 4, SPANDAU
Vor einigen Jahren, wurde ich von einem Buddhisten belästigt (Dunkelheit und Verzweiflung, erstick’ an deiner fettwanstigen Weisheit, du Fotze). Das hat mich weniger in ein sexuelles Trauma gestürzt, sondern mir vielmehr diese Einsicht vermittelt: Keine Religion ist frei von Dogmen und Unterdrückung. Genau wie ein katholischer Priester kann auch ein Buddhist ein unterdrückter Perverser sein. Wir leben in Zeiten, in denen in sexueller und geistiger Hinsicht das Chaos regiert, soviel ist sicher. Verbannte Religionen sind allerdings ein anderes Thema. Ich gehe zu diesen Ritualen. Ich mache nicht mit, dass das klar ist, aber ich nehme alles in mich auf, unterdrücke meine medien-indizierte Paranoia gerade lang genug, um zuzusehen, wie eine Opferziege ausblutet. Der Umgang mit diesen kleinen Sekten ist schwierig. Das Misstrauen gegen sie ist tief verwurzelt und sie geben ein allzu leichtes Ziel für die gelangweilte Boulevardpresse ab. Auch die linke Presse hat sich auf sie eingeschossen. Aber die Sache ist doch die: Neun von zehn Menschen haben noch nie, und werden auch nie, den eigenen Kopf dazu benutzt, mal nachzudenken. Ob es nun um Religion, Fernsehen oder den verfluchten iPod geht: Die meisten Leute ziehen es vor, ruhig auf ihrem Arsch zu sitzen und abzuwarten, bis ihnen jemand, mit welcher Autorität auch immer, sagt, was er davon zu halten habe. Diese Heiden haben sich wenigstens—irgendwo zwischen ihrem Zynismus und dem täglichen Einerlei—eine Art sonderbare Neugier auf das Leben bewahrt.
Ich habe das Gefühl, dass mir eine wichtige Facette dieses Phänomens bisher entgangen ist, also ziehe ich aus, einen echten Nazi-Heiden zu finden. Als ich Kontakt mit Thilo Kabus aufnehme, meine ich, endlich ins Schwarze getroffen zu haben. Er ist der Sprecher der brandenburgischen Landtagsfraktion der Deutschen Volksunion (DVU) und war 20 Jahre Mitglied der NPD. Nicht einfach irgendein Mitglied: als Funktionär hat er die unheilvolle Politik der Partei mitgeprägt. Heute erklärt er, von allen politischen Parteien unabhängig zu sein und bezeichnet sich als „AnarchoNationalisten“. Immer wieder spricht er auch davon, ein „Thiloist“ zu sein. Ein Witz, der auch durch pausenlose Wiederholung nicht besser wird. Auf den Ausdruck „AnarchoNationalist“ ist er sehr stolz, weil er damit in einem Schwung gleichermaßen den Links-Anarchisten und den Rechtsradikalen ans Bein pinkelt. Er schenkt mir Bier in ein Horn ein. Mit von der Partie ist auch Thilos seltsamer kleiner Freund Johannes, ein Taxifahrer mit einer geradezu autistischen Kenntnis der deutschen Geschichte, der mit dem Gedanken spielt, in eine heidnische Glaubensgemeinschaft einzutreten. Wir trinken eine Weile, was mich in zunehmendem Maße mitnimmt. So dreht sich unser Gespräch immer weniger um das Heidentum. Mehr und mehr beziehen sich meine Fragen auf sein Selbstverständnis als Neonazi. Allerdings, und da ist der Haken bei der Sache: Er ist gar kein Nazi und rassische Reinheit ist bei ihm überhaupt kein Thema. Und da liegt auch der Knackpunkt beim Heidentum. Denn man sollte ja eigentlich davon ausgehen können, dass das Thema Rasse für die Heiden eine zentrale Rolle spielen müsste, oder? Falsch, so ist es nämlich gar nicht. Nur in Amerika, wo jeder ein Rassist ist.
Aber das Heidentum ist doch der Punkt, wo sich die Linken und die Rechten treffen? Und war nicht auch Hitler vom Okkulten besessen? Verdammt, ich brauche endlich ein paar grundböse Menschen, denn wohin sonst soll mich meine spirituelle Reise führen?
Ich hasse den Buddhismus
Mein Land wurde nie richtig christianisiert. Wir sind einfach nicht mit ganzem Herzen dabei. Christ zu sein, das ist für uns eher so eine Art Tee-Zeremonie, oder für unsere Eltern eine hübsche Gelegenheit, Freunde zu finden. Ähnlich wie die Europäische Union: ein Haufen gut gemeinter, abstrakter Regeln, für die sich niemand so recht erwärmen will. Für einige liegt die geheime Passion des deutschen Volkes unter dem Harz und der Lüneburger Heide verborgen. Dort leben die alten Götter: starke braune Götter mit großen Körpern, die im Kreis herumsitzen, rauchen und sich prügeln. Da ist nichts Schwules dran. Wir geben es nur ungern zu, aber im Herzen sind wir tief heidnisch geprägt. Wir sind Atheisten und Hedonisten.
Read it in VICE
TAG 1, BELZIG
Mein erster Heide ist ein groß gewachsener Mann. Er trägt eine Brille und einen kurz geschorenen Bart. Während der 20-minütigen Fahrt in seinem Lastwagen erzählt mir Herr Camphausen, warum er sein Eigenheim verpfändet hat und aufs Land gezogen ist. „Dieser Staat geht vor die Hunde. 15 Jahre gebe ich ihm noch, wenn’s hoch kommt!“. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit der Vermietung seines Kleinlasters, auf dem ein kleiner Kran montiert ist. Das gibt ihm einen gewissen Wettbewerbsvorsprung. Die Demokratie, so werden Heiden nicht müde zu betonen, sei eine heidnische Erfindung. Das Heidentum ist bei den deutschen Linken gerade groß im Kommen. Seit dem Ende der sechziger Jahre sind wir auf einem Ökotrip. Nun aber, da uns langsam dämmert, wie gründlich am Arsch unsere Umwelt wirklich ist, hat sich das Gefühl eingeschlichen, dass sowieso alles vergeblich sein könnte. Da bieten die alten germanischen Gottheiten eine gewisse Geborgenheit. Bete nur genug, verlier dich darin, dann wird alles gut.
TAG 2, HOHER FLÄMING
Solche hoffnungslosen Hippies sind allerdings nichts als Tagesausflügler, Amateure, Ausgestoßene ihrer Generation. Echte Heiden lassen sich von der realen Welt nicht weiter beeindrucken. Ich befinde mich in einem Dorf, dass von keinem ÖPNV-Netzwerk erschlossen ist und unterhalte mich seit drei Stunden mit Lagkona (Oberhexe) Catrin Wildgrube und Allsherjargode (oberster Priester) Géza von Neményi von der Germanischen Glaubens-Gemeinschaft.
Ihre Brötchen verdient Catrin als Tarotkarten-Leserin und Astrologin, nicht als Hexe. „Eine Hexe zu sein, das ist eine Lebensauffassung, kein Job“, sagt sie. Sie betreibt auch ein Internet-Forum, in dem sie auf die Ängste junger Mädchen im Umgang mit Zaubertränken eingeht („Trinke Wein aus seinem Schuh, und ihr werdet lernen, einander zu lieben.“ Kein Scheiß!) Géza hat sein Leben dem Studium alter germanischer Kulturen und der Sorge um seine kleine Gemeinde gewidmet. Géza und Catrin leben in einem kleinen Häuschen mit Außentoilette in einem Dorf, das inmitten nebelumwaberter Felder liegt.
Fast als Warnung wurde mir gesagt, dies seien Hardcore-Heiden. Was eigentlich nur heißt, dass sie die Sache ernst nehmen. Aber Géza war nett. Er gab mir Kuchen und Kräutertee (ohne Nebenwirkungen), und wir sprachen endlos über die Bräuche, die Geschichte und die politischen Implikationen seines Glaubens. Ich versuchte, unsere Unterhaltung in randseitigere Gebiete zu steuern: „Wie sieht es mit Drogen aus?“ „Nur um die Meditation zu unterstützen. Die meisten von uns rühren sie nicht an.“ „Was macht ihr mit Nazis, die mitmachen wollen?“ „Wir lassen sie nicht.“ „Macht es dich nicht wütend, dass sich das Christentum eurer Religion und eurer heiligen Orte bemächtigt hat und die Welt jetzt mit seinem totalitären Machtanspruch beherrscht?“ „Eigentlich nicht.“ An diesem Punkt war ich zu entmutigt, noch nach wilden Sexriten bei Sonnenwendfeiern zu fragen. Scheiß drauf. Gruppensex scheint auch nur eine weitere Erfindung der Hippies zu sein.
Der Aberglaube spielt bei ihnen eine wichtige Rolle. Keine andere Kirche würde es wagen, den Glauben ihrer Anhänger auf eine derart harte Probe zu stellen. Trotzdem sprechen sie gern davon, wie vernünftig sie doch seien. Von Jesus allerdings ist nicht überliefert, dass er behauptet hätte, im Wald würden uns Elfen nachstellen, oder dass „Hunde und Pferde Geister sehen, Katzen sie dagegen nur hören können“. Jesus hat auch nie von Zwergen gesprochen, oder von Kraftfeldern, halluzinogenen Kräutern, oder Donnergöttern, die durch Lautenklänge herbeizitiert werden können. Das liegt daran, dass Jesus im Grunde ein Totalitarist war. Man kann über ihn sagen, was man will, ein Hippie war er definitiv nicht.
TAG 3, BERGEN AN DER DUMME
Draußen ist es stockdunkel. Gerade bin ich angekommen, und augenblicklich stellt sich diese alte Kleinstadt-Angst ein. Ich fühle mich einsam. Im Scheinwerferlicht erkenne ich plötzlich einen Hasen, der an einen Pfosten am Straßenrand genagelt wurde. Nein, war nur ein Witz.
Was mache ich also hier? Ich habe beschlossen, eine Nacht auf dem Lande zu verbringen, getrieben von einem vagen Ziel, das ich mir gesetzt habe: Ich bin ausgezogen, um Visionäre und Propheten zu finden. Groteske, besessene Menschen, so was in der Art. Mich beschleicht langsam das Gefühl, in psychologischer Hinsicht nicht ausreichend vorbereitet zu sein. Was mache ich zum Beispiel, wenn es dazu kommt, dass ich im betrunkenen Zustand Zeuge einer Teufelsaustreibung werden sollte? Wahrscheinlich in der Ecke hocken bleiben und höflich lächelnd wegschauen.
Die Thelema Society wird von der Presse fortwährend verteufelt. Eine Google-Recherche fördert Artikel aus den letzten 20 Jahren zutage, in denen es fast ausschließlich um Missbrauch und Vergewaltigungen geht, und darum, dass Leute in den Meditations-Workshops Scheiße fressen mussten. Michael D. Eschner, der Gründer der Society, wurde 1992 wegen Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt. Mir fehlt es fast völlig an Hintergrundinformationen. Bruchstückhaft weiß ich ein bisschen was über Nietzsche. Den hatte ich mir doch immer schon mal vornehmen wollen. Immer wieder sind TV-Kamerateams bei ihnen eingebrochen, nur um dann filmen zu können, wie man sie wieder rausschmeißt. Viele halten sie für Satanisten. Während ich auf der dunklen Straße warte, denke ich mir, dass, wer derart hysterisch von der breiten Öffentlichkeit niedergemacht wird, schon irgendetwas richtig machen muss.
Mein erster Gesprächspartner heißt Harald Schmidt, obwohl er überhaupt nicht so aussieht. Er hat krumme Zähne, einen federnden Haarschopf und einen schwankenden Gang. Er hat irgendwie etwas Rücksichtsloses an sich, offensichtlich misstraut er Leuten wie mir. Dennoch sprechen wir nach dreieinhalb Stunden immer noch miteinander. Er versucht, mir diese komplexe, vage, subjektiv wirkende Hierarchie zu erklären, die sie sich aufgebaut haben. „Jeder sucht sich seinen Status selbst aus, muss sich dann der gewählten Verantwortung aber würdig erweisen“, erzählt er. Ich darf kein Foto von ihm machen, aber er erzählt mir einiges über sich: Er ist verheiratet, lebt mit seiner Frau im Dorf und verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Export indianischen Kunstgewerbes.
Die Thelemiten verorten sich irgendwo an der Schnittstelle von Religion, Philosophie und Kunst. Das Wort Thelema stammt aus der Bibel und bedeutet „Wille“. Jesus verwendete es im Sinne von „Gottes Wille“. Typisch Jesus mal wieder.
Ein paar Stunden später treffe ich endlich Escher selbst. Die heilige innere Sphäre, der Höhepunkt meiner Reise. Auch hier ist es wieder verboten zu fotografieren. Es wird keine Musik gespielt. So wie Catrin zuvor, wird auch er geschickt von hinten beleuchtet. Alles was ich sehen kann, ist gelbes Licht, das sich im weißen Haar verfängt, das halbmondförmig seinen Kopf umspielt. Das sieht irgendwie aus wie eine Sonnenfinsternis, oder wie ein verdammtes Rührei. Wir reden eine Weile über Philosophie. Ich versuche mein Bestes, auf Augenhöhe mit ihm zu bleiben. Ich will ihm nur einmal eine Aussage entlocken, die ihn verrückt erscheinen ließe, und seine Society wie eine Ansammlung von Irren. Ich scheitere kläglich. Alles, was er sagt, geht in die Richtung von „Wir sind einfach Menschen, die die analytische Herangehensweise an das Thema „Geist“ verbindet.“ Alle gefährlichen Aspekte der Vereinigung werden gründlich entschärft, bevor ich das Gespräch auf sie lenken kann: „Jedes Individuum hat die komplette Kontrolle über den eigenen Willen.“ Seine Ausführungen laufen immer wieder auf eines heraus: Alles, sei es die Unsterblichkeit, Telepathie, Zauberei, seien schlicht und einfach intensive Ausgestaltungen dessen, woran die Menschen sowieso glauben.
Er ist einer von ungefähr 16 Leuten allein in Deutschland, die von sich behaupten, die Reinkarnation von Crowley zu sein. Er träumt davon, sie allesamt mal zu einer Party einzuladen. Die deutsche Crowley-Party. Ich werde versuchen, für Vice eine Einladung zu sichern. Da soll dann Dance, Electro und Wave aufgelegt werden, dazu gibt es möglicherweise ein kaltes italienisches Buffet.
Also wie zur Hölle unterscheidet ihr euch nun eigentlich von anderen Sekten, ja, von ganz normalen Menschen? Seine ultimative Antwort auf diese Frage lautet: „Wir versuchen gar nicht, anders zu sein.“ Fuck. Alter, was ist eigentlich aus dem verdammten Blut, dem Sex und den Scheißefress-Ritualen geworden?
TAG 4, SPANDAU
Vor einigen Jahren, wurde ich von einem Buddhisten belästigt (Dunkelheit und Verzweiflung, erstick’ an deiner fettwanstigen Weisheit, du Fotze). Das hat mich weniger in ein sexuelles Trauma gestürzt, sondern mir vielmehr diese Einsicht vermittelt: Keine Religion ist frei von Dogmen und Unterdrückung. Genau wie ein katholischer Priester kann auch ein Buddhist ein unterdrückter Perverser sein. Wir leben in Zeiten, in denen in sexueller und geistiger Hinsicht das Chaos regiert, soviel ist sicher. Verbannte Religionen sind allerdings ein anderes Thema. Ich gehe zu diesen Ritualen. Ich mache nicht mit, dass das klar ist, aber ich nehme alles in mich auf, unterdrücke meine medien-indizierte Paranoia gerade lang genug, um zuzusehen, wie eine Opferziege ausblutet. Der Umgang mit diesen kleinen Sekten ist schwierig. Das Misstrauen gegen sie ist tief verwurzelt und sie geben ein allzu leichtes Ziel für die gelangweilte Boulevardpresse ab. Auch die linke Presse hat sich auf sie eingeschossen. Aber die Sache ist doch die: Neun von zehn Menschen haben noch nie, und werden auch nie, den eigenen Kopf dazu benutzt, mal nachzudenken. Ob es nun um Religion, Fernsehen oder den verfluchten iPod geht: Die meisten Leute ziehen es vor, ruhig auf ihrem Arsch zu sitzen und abzuwarten, bis ihnen jemand, mit welcher Autorität auch immer, sagt, was er davon zu halten habe. Diese Heiden haben sich wenigstens—irgendwo zwischen ihrem Zynismus und dem täglichen Einerlei—eine Art sonderbare Neugier auf das Leben bewahrt.
Ich habe das Gefühl, dass mir eine wichtige Facette dieses Phänomens bisher entgangen ist, also ziehe ich aus, einen echten Nazi-Heiden zu finden. Als ich Kontakt mit Thilo Kabus aufnehme, meine ich, endlich ins Schwarze getroffen zu haben. Er ist der Sprecher der brandenburgischen Landtagsfraktion der Deutschen Volksunion (DVU) und war 20 Jahre Mitglied der NPD. Nicht einfach irgendein Mitglied: als Funktionär hat er die unheilvolle Politik der Partei mitgeprägt. Heute erklärt er, von allen politischen Parteien unabhängig zu sein und bezeichnet sich als „AnarchoNationalisten“. Immer wieder spricht er auch davon, ein „Thiloist“ zu sein. Ein Witz, der auch durch pausenlose Wiederholung nicht besser wird. Auf den Ausdruck „AnarchoNationalist“ ist er sehr stolz, weil er damit in einem Schwung gleichermaßen den Links-Anarchisten und den Rechtsradikalen ans Bein pinkelt. Er schenkt mir Bier in ein Horn ein. Mit von der Partie ist auch Thilos seltsamer kleiner Freund Johannes, ein Taxifahrer mit einer geradezu autistischen Kenntnis der deutschen Geschichte, der mit dem Gedanken spielt, in eine heidnische Glaubensgemeinschaft einzutreten. Wir trinken eine Weile, was mich in zunehmendem Maße mitnimmt. So dreht sich unser Gespräch immer weniger um das Heidentum. Mehr und mehr beziehen sich meine Fragen auf sein Selbstverständnis als Neonazi. Allerdings, und da ist der Haken bei der Sache: Er ist gar kein Nazi und rassische Reinheit ist bei ihm überhaupt kein Thema. Und da liegt auch der Knackpunkt beim Heidentum. Denn man sollte ja eigentlich davon ausgehen können, dass das Thema Rasse für die Heiden eine zentrale Rolle spielen müsste, oder? Falsch, so ist es nämlich gar nicht. Nur in Amerika, wo jeder ein Rassist ist.
Aber das Heidentum ist doch der Punkt, wo sich die Linken und die Rechten treffen? Und war nicht auch Hitler vom Okkulten besessen? Verdammt, ich brauche endlich ein paar grundböse Menschen, denn wohin sonst soll mich meine spirituelle Reise führen?